Schüler unterrichten Schüler: Wie das Modell Mini-Lehrer Schule macht

So versucht die Bickebergschule, Flüchtlingskinder in den Unterricht zu integrieren. Das Pilotprojekt Mini-Lehrer hat sich als Erfolgsmodell erwiesen und soll ausgeweitet werden. Auch erwachsene Helfer werden gesucht.

Wie integriert man zahlreiche Flüchtlingskinder als aller Herren Länder, die kaum ein Wort Deutsch können, in Zeiten von Lehrermangel in den Schulunterricht? Die Villinger Bickebergschule hat darauf eine Antwort gefunden: Sie schöpft aus dem Potenzial ihrer eigenen Schüler, die den Lehrern beim Unterrichten helfen. Die haben inzwischen ihren Namen weg: Die Mini-Lehrer.

Schon 2016 hat die Gemeinschaftsschule am Villinger Bickeberg dieses Modell mit acht Schülern praktiziert. Durch die Corona-Pandemie kam das Modell aber weitgehend zum Erliegen.

Im vergangenen Schuljahr wurde die Idee von Schülerpaten für Flüchtlingskinder wiederbelebt. Letztlich aus der Not geboren. Die Zahl der Flüchtlinge und Zuwanderer stieg steil an, vor allem durch den Krieg in der Ukraine. Doch deren Betreuung wurde immer schlechter. Ursache war der spürbare Lehrermangel.

Die Stunden für das Fach Deutsch als Zweitsprache (DaZ), mit denen Migrantenkinder die Sprache ihrer neuen Heimat lernen sollen, „schmolzen im Laufe des Schuljahres immer mehr dahin“, berichtet Pädagogin Kaja Scheele, die mit ihrer Kollegen Katharina Seidel die DaZ-Abteilung an der Bickebergschule verantwortet.
Mit dem Mangel wollte sich die Schule nicht abfinden. Ist doch der Spracherwerb entscheidend für eine erfolgreiche Integration der Kinder, für ihre Bildungs-, Berufs- und Lebenschancen. Die Verantwortlichen entschlossen sich, zu handeln. Das eingeschlafene Konzept der Mini-Lehrer wurde wieder erweckt.

Die Resonanz war für Katja Scheele überwältigend. Nicht weniger als 60 Schüler meldeten sich im April diesen Jahres freiwillig für die Aufgabe. Mit dieser Helferschar, so berichtet sie, konnte die Schule für fast jeden Neuankömmling einen Muttersprachler aus der Schülerschaft als Übersetzer stellen.

Kinder aus 43 Nationen

Kulturelle Vielfalt ist an der Bildungsstätte mit ihren gut 600 Schülern schon seit vielen Jahren Schulalltag. Aktuell werden an der Bickebergschule Kinder und Jugendliche aus 43 Nationalitäten unterrichtet. Im letzten Schuljahr sind sogar Kinder einer Familie aus Südkorea eingeschult worden.

Jasmin Effinowicz von der Klasse 9b ist eine der Mini-Lehrer. Sie hat sich bereits im vergangenen Schuljahr engagiert. Im neuen Schuljahr ist sie wieder dabei.

„Es war anfangs schwierig, da reinzukommen“, gibt sie zu. Gemeinsam mit einem Klassenkameraden hat sie insgesamt fünf Kinder in einer Kleingruppe unterrichtet. Geholfen haben die beiden vor allem in den Fächern Deutsch und Mathe. Ein Schwerpunkt: „Wir haben oft Spiele mit den Kindern gespielt, damit sie die richtigen Artikel der deutschen Sprache lernen.“ Mit der, die und das, berichtet sie, tun sich die meisten Zugewanderten besonders schwer.
Doch der Lernerfolg war für Jasmin am Ende des Schuljahres deutlich erkennbar. Die Arbeit hat ihr so gut gefallen, sagt sie, dass sie nun überlege, selbst Lehrerin zu werden.

Kajta Scheele und Ute Schaumann, die Leiterin der Grundschule am Bickeberg, ziehen ein durchweg positives Fazit des Pilotprojekts. Zum neuen Schuljahr haben sich wieder Dutzende von Schülern als Mini-Lehrer freiwillig gemeldet.

Die Flüchtlingskinder blühen auf

Ute Schaumann erlebt mit Begeisterung, wie die Mini-Lehrer alles mitbringen, um ihren Schützlingen dabei zu helfen, sich in einem fremden Land zurecht zu finden. Weil sie es zumeist selbst erlebt haben. Und es sei wunderbar zu beobachten, sagt sie, wie die kleinen Flüchtlingskinder aufblühten, wenn sie an einer fremden Schule auf einmal eine feste Ansprechperson haben, von denen sie verstanden werden.

„Gerade das Menschliche ist für den Start an der Schule ganz wichtig“, unterstreicht Schaumann. Und: Dieses Pilotprojekt präge die Schule mit einer Kultur des gegenseitigen Helfens und des Miteinanders auf besonders positive Weise.

Ein Netzwerk soll entstehen

Die Verantwortlichen sind von den vielfachen positiven Wirkungen ihres Projekts so überzeugt, dass sie es vielfältig ausbauen und auch exportieren wollen. Katja Steele steht daher in Kontakt mit anderen örtlichen Schulen, um für das Mini-Lehrer-Konzept ein ganzes Netzwerk in VS – und darüber hinaus – aufzubauen.

Zum zweiten will die Schule neben den Mini-Lehrern auch erwachsene Helfer in diese wichtige Integrationsarbeit einbinden. „Wir brauchen noch viel mehr Menschen, die uns dabei unterstützen und sich engagieren wollen“, unterstreicht die Pädagogin.
Steele ist überzeugt, dass es in der Stadt zahlreiche Menschen gibt, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten sinnvoll in diese Arbeit einbringen wollen und können. Beispielsweise mit den Kindern Lesen üben, Deutsch sprechen, Schulaufgaben bearbeiten. Gesucht werden aber auch Menschen, die Lust haben, ihre Hobbys und speziellen Fertigkeiten an Kinder weiterzugeben. Auch sind sind als Mentoren willkommen und können sich an die Schule wenden.
Quelle: Südkurier Online; 19.09.2022 7:00 Uhr; Text und Bilder: Eberhard Stadler

Zurück